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| Schreiben an die WP-Redaktion: Präsenz von Verwaltung und Politik in der Flutkatastrophe

Sehr geehrter Herr Fiebig,

mit der Starkregenflut vom 14./15. Juli hat uns die schwerste Naturkatastrophe der jüngeren Stadtgeschichte heimgesucht. Sie wird noch lange nachwirken und hat unsere Vorstellungskraft hinsichtlich der Kraft des Wassers zwangsweise neu justiert. Aus der Schadensaufnahme und der Analyse der Ereignisse werden unsere Ratsmitglieder, Bezirksvertreterinnen und -vertreter in den kommenden Monaten und Jahren entsprechende Lehren ziehen.

Derzeit sind noch immer viele Kräfte aus Verwaltung und städtischen Betrieben damit beschäftigt, Schäden zu beseitigen und eine materielle Bestandsaufnahme zu erstellen. Zeitgleich leiden viele Menschen an seelischen Wunden, weil sie ihr trautes Heim oder gar ihre wirtschaftliche Existenz verloren haben. Das lässt keinen kalt, der das miterlebt hat. Deshalb versuchen wir weiter, Hilfesuchende und Hilfsangebote zusammen zu bringen.

Hagen hatte noch Glück im Unglück: Niemand hier hat sein Leben durch die Flut verloren, weil der Krisenstab schon im Vorfeld der sich abzeichnenden Katastrophe unmissverständlich gewarnt und frühzeitig den Katastrophenfall ausgerufen hat. Nur so war die schnelle professionelle Hilfe danach möglich. Wir können froh sein, dass selbst schwierigste Rettungsaktionen gelungen sind, dank dem Können und beherzten Eingreifen der Feuerwehren sowie dem Mut Einzelner. Beispielhaft erinnern wir an Ihren Bericht über das beatmungspflichtigen Mädchen.

Die Mitglieder des Hagener Krisenstabs haben also hervorragende Arbeit geleistet!

Dazu kommt die Hilfsbereitschaft über alle Stadt- und Nationalitätsgrenzen hinweg. Treffen – wie Ihre Zeitung selbst berichtet – 100 Iraker aus ganz Deutschland in Hagen ein, um selbstlos anzupacken, dann ist das ein ebenso unerwartetes wie wunderbares Ereignis. Es zeigt beispielhaft, wie sehr diese Herausforderung die Menschen zusammenschweißt hat.

Es gäbe sicher noch mehr solcher Geschichten zu erzählen.

Doch Sie suchen offensichtlich nach einem anderen Spin, wenn wir Ihre Fragen lesen. Da Sie pauschal „die Politik“ anschreiben, erlauben wir uns, Ihnen als Politik zu antworten.

Sie schreiben uns, Ihnen sei nach „Gesprächen nach der Katastrophe (…) deutlich geworden, dass viele Menschen sich von ihrer Stadtspitze und der Politik noch mehr erhofft haben als ein Fluthilfe-Konto und den Verweis auf die Freiwilligenzentrale.“

Würde Ihre minimalistische Auflistung der Fakten stimmen, könnten wir eine Unzufriedenheit der Menschen sogar verstehen. Tatsächlich pflegt und kommuniziert die Stadtverwaltung bis heute tagesaktuelle Listen aller öffentlichen und privaten Hilfsangebote. Diese Liste liegt den Ansprechpartnern in den Stadtbezirken, den Fraktions- und Gruppengeschäftsstellen sowie allen anderen Organisationen vor, die Menschen vor Ort beraten. Diese Fakten sind auch der Redaktion der Westfalenpost-Redaktion bekannt. Darüber hinaus leisten städtische Unternehmen bis heute umfassende Fluthilfe. Eine solche Formulierung sorgt also mit Recht für Befremden.

Wir haben von unseren eigenen Betroffenen sowie Helferinnen und Helfern sehr konkrete und differenzierte Rückmeldungen erhalten. Demnach haben von der Nachbarschaft angefangen bis zur Unterstützung durch die Bundeswehr viele Hilfen vor Ort sehr schnell und unbürokratisch gegriffen. Bislang läuft dieser Prozess hervorragend. Von daher erübrigt sich auch Ihr Hinweis, dass „man dort Dinge erfahren kann, die (…) in Fraktionssitzungen Berücksichtigung finden können.“

Sie fragen uns: „Wie bewerten Sie und ihre Parteikollegen ihr bisheriges Wirken in der Zeit nach der Flutkatastrophe in Bezug auf die Nähe zu den Bürgern?“

Tatsache ist, dass viele unserer Fraktions-, Gruppen- und BV-Fraktionsmitglieder, so sie nicht in Urlaub oder selbst betroffen waren, persönlich Hilfe geleistet oder administrative Probleme ausgeräumt haben. Sie haben in Kirchengemeinden, örtlichen Vereinen, den freiwilligen Feuerwehren oder Seite an Seite mit der Bundeswehr, dem THW, der Stadtverwaltung, der WBH, dem HEB und vielen Hilfsorganisationen Schlamm geschippt, Häuser entrümpelt, teilweise unappetitliche Arbeiten geleistet, Kleider- und Sachspenden sortiert, kleine bis stattliche Spendengelder akquiriert oder Notwendiges für andere bezahlt. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben angepackt, wo sie gebraucht wurden. Das war deutlich klüger, als die Arbeiten der Hilfskräfte mit selbstsüchtiger Eigenwerbung oder plakativen politischen Ratschlägen zu erschweren.

Wir, „die Politik“, haben freiwillige Feuerwehrleute in unseren Reihen. Sie berichteten über hoch emotionale Einsätze bei denen sie von Einsatz zu Einsatz fuhren und den sorgenvoll winkenden Menschen am Straßenrand nicht helfen konnten, weil sie Einsatzbefehlen zu folgen hatten. Solche Schilderungen lassen uns ebenso wenig ungerührt wie die eigenen Erinnerungen an Bilder und Gerüche von vollgelaufenen Kellern und Wohnungen, von Hangrutschungen, Unterspülungen und Treibgut-Haufen an vielen Stellen in der Stadt.

Wir sind jedenfalls stolz auf alle Helferinnen und Helfer und deren selbstlosen Einsatz!

Natürlich kann in einer solchen Ausnahmesituation nicht alles „rund laufen“. Bestimmt konnten nicht alle Betroffenen nach ihrer Auffassung von Wichtigkeit versorgt werden. Es ist das Wesen von Katastrophen dieser Größenordnung, dass nicht allen vollumfänglich und sofort geholfen werden kann. Trotzdem sind wir sicher:

Niemand blieb ganz ohne Hilfe!

Sie schreiben weiter: „Es gehe laut den Bürgern dabei vor allem darum, Empathie zu zeigen, zuzuhören, Sorgen vor Ort aufzunehmen und den Betroffenen das Gefühl zu geben, dass ihr Anliegen ganz einfach eine hohe Priorität genießt.“

Unser Bemühen geht über die hier formulierte Symbolik hinaus. Unsere Bezirksvertreterinnen und -vertreter sowie Ratsmitglieder haben den Betroffenen nicht nur das Gefühl gegeben, ihre Anliegen würden Priorität genießen; sie haben vor Ort selbst angepackt oder aktiv zu konkreten und schnellen Lösungen beigetragen. Das ist gelebte Solidarität!

Den Betroffenen nur „das Gefühl zu geben“ ist das Werk von Populisten; die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen und konkrete Hilfe zu leisten ist unser Ansatz!

Natürlich können wir nicht sicherstellen, dass die Probleme aller Menschen an uns gedrungen sind. Wer sich aber nur ein bisschen bemühte, konnte und kann Kontakt zu einem unserer Repräsentanten vor Ort oder den Geschäftsstellen aufnehmen. Wir jedenfalls sind allen zutiefst dankbar, die die Menschen vor Ort nicht im Stich gelassen, sondern sich persönlich gekümmert haben. Wie sie das ohne Empathie und die Fähigkeit zum Zuhören geleistet haben wollen, darf das Geheimnis Ihres Fragestellers bleiben.

Die abstrakte Frage, ob „kritischen Stimmen falsch (liegen), wenn sie sagen, dass sie sich allein gelassen fühlen“ können wir nicht beantworten, weil sich unspezifisch anonyme Vorwürfe schon rein logisch nicht konkret beantworten lassen. Die Einschätzung, ob „die Arbeit der Politik in den vergangenen vier Wochen nach der Katastrophe unterschätzt (wird)“, überlassen wir Ihnen.

Verstehen Sie sich tatsächlich als Anwalt der Bürgerinnen und Bürger, dann sollten Sie zwischen realistischen Erwartungshaltungen der Allgemeinheit und unrealistischen Vollversorgungsansprüchen einzelner unterscheiden können. Sie sollten auch reine Symbolpolitik von Kommunalpolitik trennen können. Und wir glauben, dass es Aufgabe eines Redakteurs ist, abstrakte Tatsachenbehauptungen erst einmal zu überprüfen, bevor er sie weiter verwendet. Schließlich könnte die Übernahme fremder Inhalte nach außen den Eindruck erwecken, man vertrete diese Ansichten selbst.

Hanns Joachim Friedrichs formulierte als Anspruchshaltung an seinen und Ihren Berufsstand einmal:

„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“

Dasselbe dürfte wohl mindestens ebenso auf eine schlechte Sache zutreffen.

Mit freundlichen Grüßen

Fraktionsvorsitzende und Gruppensprecher

 

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