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| Beschlussvorschlag: Friedhofsentwicklungsplanung

Sowohl die Hagener Friedhofslandschaft als auch die Friedhöfe der Gemeinden, die bis 1974 ins Stadtgebiet eingemeindet wurden, sind über Generationen historisch gewachsen. Zehn städtische (51 Hektar klassische Friedhofsfläche + 11,8 Hektar RuheForst) und 16 kirchliche Friedhöfe (50,33 Hektar) bilden derzeit auf 113,4 Hektar Fläche das Hagener Friedhofsangebot. Abzüglich Wege, Gebäude, Grünflächen und Baumschonbereiche bleiben davon lediglich 17,2 Hektar städtische Bruttograbfläche für Bestattungen. Auf Basis der angenommenen Sterbefälle und Bestattungsformen sollen davon nur noch 10,4 Hektar benötigt werden. Ein Flächenüberhang von 6,8 Hektar nutzbarer Bruttograbfläche muss abgebaut werden.  Zurück von der Grab- zur Friedhofsfläche bedeutet das nach Angaben des Gutachtens: 12,5 Hektar, also 20 Prozent der städtischen Friedhofsfläche muss aus der Bewirtschaftung genommen werden.  Eine Sonderrolle spielt der städtische RuheForst. Hier gibt es keine Grabanlagen. Urnen werden zwischen Baumwurzeln eingelassen. Infrastruktur ist auf ein Minimum reduziert.

Das vorgelegte Gutachten stellt nicht nur die räumlichen und wirtschaftlichen Daten der Hagener Friedhofslandschaft gut nachvollziehbar dar, sondern unterbreitet auch konstruktive Vorschläge, wie sich die Friedhöfe unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten weiterentwickeln könnten. Insofern ist das vorliegende Gutachten ein wichtiges Instrument, um die wirtschaftliche Entwicklung dieses Bereichs grundlegend zu beleuchten. Ein Großteil des Antrages greift deshalb die unterbreiteten Vorschläge auf und ergänzt sie durch weitere Anregungen.

Nicht Auftrag des Gutachters war die Prüfung auf gesellschaftliche Akzeptanz der Vorschläge. Die Aufgabe zur öffentlichen Diskussion obliegt den Gremien des Rates und den politisch Beteiligten. Auch hierzu liefert das Gutachten die wesentlichen historischen Daten, leitet daraus jedoch keine entsprechenden Akzeptanzfragen ab. Das Gutachten unterscheidet darüber hinaus nicht zwischen den charakterlich unterschiedlichen Dorf- und Stadtfriedhöfen. Hier gilt grundsätzlich: Die persönliche Bindung von über Generationen verwurzelter Familien an ihre Dorffriedhöfe ist emotional deutlich stärker ausgeprägt als die Bindung von städtisch geprägten Milieus an ihre Friedhöfe.

Ebenfalls nicht Auftrag des Gutachters war es, die Bedeutung als Kulturgut ausdrücklich zu würdigen und gesellschaftspolitisch „zu bepreisen“. Dies ist objektiv unmöglich. Und so ist die kulturelle Einordnung der Bedeutung unserer Friedhofslandschaft etwas, was im zivilgesellschaftlichen Diskurs zu leisten ist.

Dort, wo die Bedeutung der Friedhöfe über die rein fiskalische Betrachtung hinausgeht, muss sich ein kommunaler Konsens finden, welchen Wert das Kulturgut Friedhof einnehmen soll. Das Kulturgut lässt sich nur so lange erhalten, pflegen und fortentwickeln, wie dazu ein über den Tag hinaus reichender gesellschaftlicher Konsens besteht. Zur Erinnerung: Friedhöfe stellten zu aller Zeit einen nicht zu unterschätzenden Bestandteil der menschlichen Kulturlandschaft dar. Bei der Erforschung historischer Gesellschaften sind es oft Grabanlagen und -beilagen, die – mehr oder weniger – beredt Auskunft über untergegangene Zivilisationen ablegen.

Konsens aus Einzelentscheidungen und politischem Diskurs

Die rituelle Bestattung von Verstorbenen findet in aller Regel im Rahmen eines gesellschaftlichen Konsenses dessen statt, was als pietätvoll gilt. Dieser Rahmen verschiebt sich über die Zeit regelmäßig, denn er wird durch viele Einzelentscheidungen maßgeblich beeinflusst. Vorgelebt wird die Haltung zur Bestattungskultur nämlich primär durch die Summe souveräner Einzelentscheidungen von Verstorbenen beziehungsweise von deren Hinterbliebenen. Sie legen fest, an welchem Ort und in welcher Form ein Mensch seine letzte Ruhe findet, nicht der Rat der Stadt und auch nicht der Wirtschaftsbetrieb. Insofern vollziehen WBH und Rat hier Entwicklungen nach, die aus der Mitte der Gesellschaft vorgelebt werden. Gleichzeitig hat der Rat die wichtige Aufgabe, die Grenzen des Pietätvollen auszuleuchten und gegebenenfalls regelnd einzugreifen.

Die Summe der souveränen Einzelentscheidungen hat in den letzten Jahrzehnten die Friedhöfe in Hagen deutlich verändert. Noch bis in die 1980er Jahren waren Erdgräber mit Sargbestattungen und repräsentativen Grabsteinen der überwiegende Standard. Eine kunstvolle und repräsentative Grabanlage mit passender Bepflanzung und dauerhafter Pflege war Zeichen der sozialen Bedeutung einer Familie in einer Stadt – und noch viel mehr auf dem Land.

Die fortwährende Pflege der Anlagen ist ein Ausweis für soziale Verantwortlichkeit und ehrendem Andenken an die Toten. Gegenseitige Hilfe und soziale Kontrolle sorgen noch heute im ländlichen Raum dafür, dass Gräber dort in aller Regel besser instandgehalten werden als dies in Summe auf den innenstädtisch geprägten Friedhöfen der Fall ist.

Gräber waren und sind Treffpunkte einer Familie und binden die Angehörigen auch über den Tod hinaus an die Verstorbenen. Sie spielen auch heute im Rahmen der Trauerbewältigung noch eine wichtige Rolle. Gerade auf ländlich geprägten Friedhöfen treffen sich Trauernde regelmäßig und trösten sich gegenseitig. All das lässt sich nicht in Zahlen fassen und wirtschaftlich gewichten, darf aber bei einer umfassenden politischen Betrachtung nicht fehlen.

Friedhöfe sind mit der Geschichte einer Stadt oder eines Dorfes eng verbunden. Alleine deshalb sind die dörflich geprägten Friedhöfe in Berchum, Garenfeld und Holthausen nicht mit städtisch geprägten Friedhöfen wie Loxbaum, Remberg (kirchlich) oder Delstern vergleichbar.

Gemeinsam ist vielen Friedhöfen, dass sie – meist zeitversetzt zum Wachstum der Kommune – organisch gewachsen sind. In den 1980er und 1990er Jahren erweiterten viele Kommunen noch ihre Friedhofsflächen, weil sie eine demographisch bedingte deutliche Zunahme von Erdbestattungen erwarteten. Was die damaligen Prognosen nicht vorhersehen konnten, war die rasante Hinwendung zu Einäscherungen und Bestattung in Urnenfeldern oder Kolumbarien. Seit dem Jahr 2006 bietet sich im RuheForst die preiswerte Chance zur Urnenbestattung im Wald. Diese Angebote haben die Zahl der Erdbestattungen beinahe marginalisiert.

Neben neuen Bestattungsformen veränderte die Lebenswirklichkeit den persönlichen Zugang der Angehörigen zum Friedhof. Mit der zunehmenden Flexibilisierung des Arbeitslebens sowie der Globalisierung haben sich früher ortsfeste Familienstrukturen über Länder und Kontinente hinweg verteilt. Familien sind teilweise nicht mehr in der Lage, die ortsfesten Gräber zuverlässig zu versorgen. Immer häufiger müssen Dienstleister eingebunden werden, was wiederum mit erheblichem Kostenaufwand verbunden ist. Vor diesem Hintergrund entscheiden sich immer mehr Menschen für pflegeextensive Bestattungsformen, zumal die Zahl der Familien wächst, die sich teure Bestattungen nicht leisten können.

Konkret bedeuten die Veränderungen in der Bestattungskultur – weg von der Sargbestattung, hin zur Urnenbestattung –, dass in Hagen schon deutlich weniger Friedhofsfläche gebraucht wird als geschaffen wurde. Denn während ein früher übliches Erdgrab 2,88 Quadratmeter Fläche braucht,  genügt bei einer Urnenbestattung eine rechnerische Fläche von 0,64 Quadratmetern  - Kolumbarien gar nicht berücksichtigt. Kontinuierlich auslaufende Nutzungsrechte von Sarggräbern beschleunigen diesen Flächentrend zusätzlich.

Das führt dazu, dass die damals geschaffenen Flächen heute nicht benötigt werden. Inzwischen reagieren viele Kommunen auf diese Entwicklung mit entsprechenden Konzepten für ihre Friedhöfe, wie beispielsweise die Landeshauptstadt Düsseldorf.  Dort werden die Friedhöfe Eller, Itter, Südfriedhof, Gerresheim, Nordfriedhof, Heerdt und Stoffeln jeweils zwischen 23 und 28 Prozent verkleinert.

Das Gutachten hat bei der Bewirtschaftung durch den WBH hinsichtlich Wirtschaftlichkeit Verbesserungspotentiale aufgezeigt. Diese wollen die Antragsteller auf ihre Realisierung hin hinterfragen. Treffen die Einschätzung des Gutachtens zu, sollen diese Verbesserungspotentiale genutzt werden, falls dies nicht bereits erfolgt ist.

Politik: Verkleinerungen statt Schließungen 

Die Entscheidung über die Größe, Belegung und Ausgestaltung von Friedhöfen ist, wie dargestellt, in erster Linie die Summe von privaten Entscheidungen. Nachrangig haben die Rats- und Bezirksvertreter die Aufgabe, dieses Geschehen objektiv so gut wie eben möglich zu gestalten – vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Bedeutung von Friedhöfen, aber auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Erfordernisse.

Unbestritten ist, dass derzeit die Erfahrung und die realistischen Annahmen zeigen, dass die künftig benötigte Friedhofsfläche weiter schrumpfen wird, selbst wenn einige Unwägbarkeiten diesen Trend verlangsamen könnten.

Ziel der Antragsteller ist es deshalb, die Friedhöfe so organisch weiterzuentwickeln, wie sie das in der Vergangenheit wurden. Statt ein künstliches Belegungsende festzulegen und Friedhöfe mit einem Vorlauf von Jahrzehnten komplett zu schließen, sehen die Antragsteller in einer systematischen Umwandlung und organischen Verkleinerung der Friedhöfe auf Kernbereiche eine würdevolle und den Trauernden angemessene Veränderungskultur.

Friedhöfe sollen künftig in zwei Bereiche unterteilt werden:

  1. Ein ausreichend großes Kernareal, das als Friedhof auch künftig bewirtschaftet und für weitere Bestattungen vorgehalten wird.
  1. Periphere Areale mit auslaufenden Nutzungsrechten werden kontinuierlich in naturnahe und weniger pflegeintensive Areale umgewandelt. Sind alle Ruhezeiten abgelaufen, können sie entwidmet werden.

Wenig genutzte Andachtshallen, Abschieds- und Aufbewahrungsräume auf den drei Dorffriedhöfen werden aufgegeben, sofern nicht Dritte verbindlich deren Unterhalt übernehmen. Denkbar sind Kooperationen mit örtlichen Kirchen oder Bestattern und die langfristige Verpachtung der Räume an Reerdigungs-Unternehmen zur Einrichtung von Alvarien, sobald diese Bestattungsform in NRW zugelassen wird. Außer Wegen, Einfriedung und Grabanlagen soll keine Infrastruktur vor Ort vorgehalten werden. Wege in den peripheren Flächen können ebenfalls rückgebaut werden.

Mit dieser flexiblen Bewirtschaftung können Friedhöfe auf unvorhergesehene Entwicklungen auf Dauer gut reagieren.

Die Antragsteller wollen zusätzliche Einnahmen für die Refinanzierung der peripheren Flächen erschließen. Dies kann aus Mitteln von „Ausgleich und Ersatz“ geschehen, Fördermittel für Renaturierungsmaßnahmen oder Förderprogrammen zur Steigerung der Biodiversität.  Denkmalmittel sollen helfen, historisch wertvolle Grabanlagen in den Kernzonen zu konzentrieren und erhalten. Möglicherweise ist sogar eine historischer Friedhofsfläche für solche Grabmale denkbar.

Nicht denkbar ist hingegen die Einrichtung privater Friedhöfe bei Übertragung der Ewigkeitslasten an die Stadt als Friedhofsträger. Sofern ein privater Träger einen Friedhof in Hagen errichten will, sind von diesem auch alle erforderlichen Gewährleistungen bis zum Tag der mutmaßlichen Entwidmung zu erbringen. Private Friedhöfe, deren nachlaufende Pflichten zur Stadt oder zum WBH verlagert werden, lehnen die Antragsteller ab.

Würdevolle Gedächtniskultur aufrechterhalten

Auf den Hagener Friedhöfen finden sich zahlreiche Sonder- und Ehrengräber, die es unbedingt zu erhalten gilt. Zu nennen sei beispielhaft die Gruft der Familie Funcke, die außerhalb der örtlichen Friedhöfe errichtet wurde. Dazu kommen weitere historisch oder künstlerisch bedeutende Grabanlagen, die Zeugnis darüber ablegen, welchen Stellenwert das Totengedenken in den vergangenen Jahrzehnten oder Jahrhunderten hatte. Gräber von Opfern der Weltkriege und Gewaltherrschaft sowie Ehrenmale für die gefallenen Gemeindemitglieder der beiden Weltkriege und des Deutsch-Französischen Krieges 1870-1871 sind schon aus historischen und bildungspolitischen Gründen bedingungslos zu erhalten.

Die Verpflichtung zu deren Erhalt hat die Stadt Hagen durch Eingemeindung 1974 und der WBH konkludent mit der Integration des Friedhofsamtes im Jahr 2011 übernommen. Die dafür anfallenden Kosten kann der WBH nach Auffassung der Antragsteller nicht auf die Stadt zurückwerfen. Gleichwohl hat der Rat ein Interesse daran, dass diese Grabmale angemessen gepflegt werden.

Anders sieht es aus bei der Sicherung und Bewahrung künstlerisch oder historisch wertvoller Grabsteine und Grabanlagen sowie Bepflanzungen aus. Herausragende Anlagen sollten in geeigneter Form bewahrt werden. Die dafür entstehenden Kosten müssen aber aus privaten Initiativen, Stiftungen, von Investoren oder aus Mitteln zur Denkmalpflege aufgebracht werden.

Auf diese Weise bliebe die besondere Rolle von Friedhöfen als Orte der respektvollen Erinnerung an die Vergänglichkeit des Lebens aber auch als Ort der würdigen Erinnerung an die Toten für die nahe Zukunft erhalten.

Die Friedhofskultur in Deutschland ist im Übrigen mit dem Jahr 2020 auf Empfehlung der Deutschen UNESCO-Kommission in die Liste des Immaterielles Kulturerbes aufgenommen worden.

„In Bezug auf die Friedhofskultur betrifft dies zwei große Themenfelder: Zum einen geht es darum, was wir auf dem Friedhof tun: trauern, erinnern und gedenken sowie gestalten, pflegen und bewahren. Zum anderen würdigt die Ernennung zum Erbe den vielfältigen Wert der Friedhofskultur für unsere Gesellschaft: kulturell, sozial oder historisch, aber auch in Bezug auf Klima- und Naturschutz, gesellschaftliche Integration oder nationale Identität.“

Über mögliche Fördermittel informiert das „Handbuch zu Fördermaßnahmen Immaterielles Kulturerbe (aus dem Jahr 2016)“ leider nur unzureichend, da es vor der Aufnahme der Friedhöfe in das Immaterielle Kulturerbe im Jahr 2020 zuletzt aufgelegt wurde. Mutmaßlich dürften jedoch auch hier entsprechende Förderkanäle bestehen.

Prognoseungenauigkeit beachten

Prognosen sind für eine vorausschauende Entwicklung unerlässlich, jedoch keine vorab in Stein gemeißelte Zukunft. Einerseits gibt es Prognoseungenauigkeiten, andererseits das Risiko überraschender Ereignisse.

Die Prognose des Landes NRW zur demographischen Entwicklung aus dem Jahr 2005 sah Hagen im Jahr 2030 bei 160.000 Einwohnern. Lediglich CDU und FDP-Fraktion traten dieser Prognose seinerzeit argumentativ entgegen. Heute nähert sich Hagens Einwohnerzahl mit 194.000 Einwohnern wieder der 200.000er Marke – aus Gründen, die auch für CDU und FDP nicht vorhersehbar waren. Dasselbe gilt für die Schulentwicklungsplanung 2011ff.. Auf Basis seinerzeit valider Daten haben Rat und Verwaltung die Infrastruktur mustergültig an die erwartete Entwicklung angepasst. Unvorhersagbare Ereignisse wie die Zuwanderung und der russische Krieg gegen die Ukraine haben den ursprünglichen Trend jedoch wieder umgekehrt.

Schon deutlich erkennbar ist der demographische Wandel, der Hagens Bestattungslandschaft konkret beeinflussen wird.

Mit der zahlenmäßig zunehmend muslimischen Bevölkerung tritt die Tuchbestattung zunehmend in den Vordergrund. Der Flächenbedarf für diese Bestattungsform entspricht eher der einer Sargbestattung. Muslimische Bestattungen verändern auch praktisch die Bestattungsprozesse: Bestattung sollen nämlich kurzfristig nach dem Tod erfolgen, möglichst noch am selben Tag. Das erfordert schnellere Prozesse bei der Verwaltung und Erdbestattungen auch nach 14:30 Uhr. Darüber hinaus wünschen Muslime meist längere Ruhezeiten. Hier besteht Anpassungsbedarf bei der Gebührensatzung.

Offen ist, welche Auswirkungen die Südosteuropa-Zuwanderung konkret auf die Hagener Bestattungskultur haben wird. Städte mit langjährigen Erfahrungen insbesondere mit zugewanderten Sinti und Roma erkennen einen hohen Stellenwert dieser Menschen für Sargbestattungen, prachtvolle Grabmale und Abschiedsrituale.

Antrag erhöht Resilienz und Flexibilität der Bestattungslandschaft

Insofern halten es die Antragsteller für richtig, dezentrale und anpassbare Friedhofsstrukturen vorzuhalten.

Über eine lange Übergangszeit würden die zur Entwidmung vorgesehenen Friedhöfe ein kümmerliches Flickenteppichdasein fristen. Erst in 70 Jahren ist der vollständige Erfolg der Entwidmung zu verzeichnen – unter vollkommenem Verlust der lokalen Friedhofskultur. Zu erwarten ist, dass bis zur Entwidmung noch deutliche Mehraufwände für die Pflege der abgängigen Friedhöfe vorzusehen sind als das Gutachten heute Glauben macht.

Mit jedem Grab, das künftig nicht mehr neu angelegt wird, schrumpft die Zahl der Menschen, die die Gräber aktiv und regelmäßig versorgen. Es verringert sich dabei die Zahl der Augen, die den Verfall wahrnehmen, es erodiert die soziale Kontrolle über die Gräber der Nachbarn, es fehlen immer mehr private Hände, die Gräber und Umfeld in Ordnung halten. Damit erhöht sich mittelbar die Notwendigkeit von mehr Eingriffen durch den WBH, sollen die Friedhöfe nicht pietätlos vergammeln. Der Mehraufwand dafür lässt sich schwer einschätzen, würde das Entwidmungsszenarium aber nicht unerheblich belasten.

Im Ergebnis bedeutet das: Die Zielsetzung des Gutachtens wirkt sich unsystematisch auf die Teilflächen aus, da sie alle als gleichermaßen abgängig gelten. Eine strategische Optimierung von Kernflächen in den Dorffriedhöfen hält einen kontinuierlichen privaten Pflegeanteil dauerhaft aufrecht und wäre einer Entwidmung vorzuziehen.

Mögliche spätere Mehrbedarfe bei Friedhofsfläche lassen sich bei dem beantragten strategischen Konzentrationsmodell leichter systematisch realisieren als bei der Entwidmungsstrategie. Die von den Antragstellern präferierte organische Verkleinerung bestehender Friedhöfe bietet also den Vorteil hoher Resilienz und großer Flexibilität über die gesamte Lebenszeit des Friedhofs hinweg.

Werden wider Erwarten neue Flächen erforderlich, lassen sich diese leicht, ortsnah und systematisch sinnvoll innerhalb bestehender Friedhöfe realisieren.

Um diese Entwicklung zu erleichtern, sollen Grabfelder fortan ausschließlich systematisch – ausgehend von einer Kernfläche – für Nutzungen geöffnet oder geschlossen werden.

Lokale Umbettungsangebote schaffen

Als zusätzliches Instrument zur systematischen Belegung von Flächen und Vermeidung fragmentierter Flickenteppiche schlagen die Antragsteller lokale Umbettungsangebote auf freiwilliger Basis vor. Sowohl bei der Verlängerung von Rechten wie auch bei Zubettungen in den peripheren Arealen soll der WBH lokale Umbettungsangebote auf die Kernflächen unterbreiten. Diese Angebote sollen auf freiwilliger Basis erfolgen und keine zusätzlichen Kosten für die Angehörigen auslösen. Anreize für die Betroffenen könnten weitere Gebührenerleichterungen oder zusätzliche Ruhejahre bei einer bevorstehenden Verlängerung von Belegungsrechten sein.

Bei pietätvollem Vorgehen könnten auf diesem Wege die Ordnungserfordernisse der Friedhofsverwaltung Einzug in die Erwägungen der Betroffenen finden; mosaikartig belegte periphere Areale lassen sich leichter auflösen und Gräber in die Kernzonen konzentrieren. Periphere Flächen lassen sich schneller zusammenfassen, aus der intensiven Bewirtschaftung herausnehmen oder gar partiell entwidmen.

Neue Bestattungstrends aufnehmen / Klimaschutz vorantreiben

Die Entwicklung des Friedhofswesens folgt individuellen Entscheidungen zu Abschiedsritualen und Bestattungsformen. Hier hat sich der WBH AöR stets liberal und offen gegenüber neuen Trends gezeigt, ohne die Pietät jemals aus dem Auge verloren zu haben. Die Bestattungen von Haustieren in menschlichen Gräbern zuzulassen, zeugt beispielsweise davon, dass die WBH-Verantwortlichen die Lebenswirklichkeit vieler Menschen wahrnehmen. Diese Haltung der AöR begrüßen die Antragsteller ausdrücklich und ermutigen den WBH, diesen Weg weiter konsequent fortzusetzen.

Die Antragsteller gehen davon aus, dass der WBH auch weitere Trends bereitwillig aufnimmt, die geeignet sind, das Bestattungswesen pietätvoll weiterzuentwickeln.

Dazu gehört beispielsweise auch die neu aufkommende Bestattung als „Reerdigung“. Dabei werden die Körper der Verstorbenen beim rituellen Abschied zeremoniell in einen Kokon mit einem Bett aus Stroh und Pflanzen unter Zugabe von Pflanzenkohle gelegt. Zusammen mit darin vorhandenen Mikroorganismen wird der Körper dann ohne Verbrennung in rund 40 Tagen weitgehend zu Erde umgewandelt.

Die Kokons stellt das Berliner Unternehmen in so genannten „Alvarien“ auf. Dazu pachtet das Unternehmen freie Friedhofskapellen an und richtet sie entsprechend ein; ein möglicher weiterer Vorteil für die Kostenstruktur des WBH. Die Anbieter machen für diese Form der Bestattung geltend:

„Mit der Reerdigung leisten Sie einen aktiven Beitrag zur Bodengesundheit. Die klimaschonende Transformation zu Erde ist die natürlichste Art zu gehen. Und der Nachwelt sinnstiftend erhalten zu bleiben.“

Diese ökologische Form der menschlichen Grablege ist für einen bewusst denkenden Teil der Bevölkerung sicher eine klare Alternative zur Einäscherung, selbst wenn diese möglicherweise teurer sein könnte als die Einäscherung. Im Vergleich zur Einäscherung wird dabei deutlich weniger klimarelevantes CO2 freigesetzt. Das unterstützt unmittelbar das operative Ziel 6.1. der Hagener Nachhaltigkeitsstrategie , das da lautet: „Bis zum Jahr 2030 wird das durchschnittliche jährliche CO-Äquivalent-pro-Kopf-Aufkommen auf einen Wert von höchstens 6 Tonnen reduziert.“

Es ist eine entsprechende Nachfrage nach dieser Bestattungsform zu erwarten, zumal immer mehr Menschen – insbesondere im bewussten Zugang auf das Lebensende – sich für Nachhaltigkeit interessieren. Das wiederum hätte natürlich auch Auswirkungen auf das Hagener Krematorium.

Insofern halten die Antragsteller eine Öffnung des WBH für diese Bestattungsform für wünschenswert, sobald diese Bestattungsform zugelassen ist und diese die entsprechenden Voraussetzungen für eine pietätvolle Bestattung erfüllt. Dem steht derzeit noch die Hürde einer generellen Gestattung dieser Bestattungsform durch das Land Nordrhein-Westfalen im Wege. Bis Januar 2024 ist die Bestattungsform nur in Schleswig-Holstein geduldet.

Fördermittel und Hilfen zur Umgestaltung mit einbeziehen

Die Umwandlung von peripherer Friedhofsfläche in naturnahe Areale ist das zentrale Instrument der Verkleinerung der Friedhöfe im Gutachten. Dieser Auffassung schließen sich die Antragsteller ausdrücklich an. Dabei kommen zahlreiche öffentliche Fördermittel in Betracht, die die Finanzierung dieser Maßnahmen erleichtern.

Bereits vorhandene Bereiche können ökologisch aufgewertet werden, um die Funktion als Windfang und Erosionsbremse weiter zu verbessern oder indem die Biodiversität weiter erhöht wird. Möglicherweise lassen sich dafür Mittel aus dem Topf von „Ausgleich und Ersatz“ heranzuziehen. Darüber hinaus zeigt ein Blick über die Stadtgrenzen, dass es eine Vielzahl von Förderkorridore gibt, die sich in Sachen „Renaturierung“ anbieten.

Beispielhaft sei hier zu erwähnen, dass die Stadt Aachen für ein Konzept zur Entwicklung der Aachener Bezirksfriedhöfe zur nachhaltigen Steigerung der Biodiversität und ruhigen Erholung Fördermittel in Höhe von 371.000 Euro eingeworben hat. Fördergeber ist das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV), das die Mittel im Rahmen des Förderprogramms „Kommunale Modellvorhaben zur Umsetzung der ökologischen Nachhaltigkeitsziele in Strukturwandelregionen (KoMoNa)“ ausschüttet.  

Möglicherweise könnten beispielsweise auch Fördermittel für Feldhecken akquiriert werden. Darüber hinaus dürfte noch eine Vielzahl weiterer öffentlicher Förderprogramme zur Renaturierung oder Verbesserung der Biodiversität in Frage kommen.

Insgesamt soll das hier vorgelegte Maßnahmenpaket dem WBH dabei helfen, die Finanzierung der Friedhöfe insgesamt auf eine breitere Basis zu stellen, um die Schließung und Entwidmung zu vermeiden.

Die genannten Fraktionen und Gruppen stellen daher den folgenden Sachantrag zu TOP I.5.10 der Sitzung des HFA am 13.06.2024:

Beschlussvorschlag

1. Der Haupt- und Finanzausschuss begrüßt die Vorlage des Gutachtens zur Friedhofsentwicklungsplanung als Grundlage für die weitergehende Beratung.

2. Der Haupt- und Finanzausschuss lehnt die beabsichtigte Schließung der Friedhöfe Berchum, Garenfeld und Holthausen ab 01.01.2025 sowie deren spätere Schließung und Entwidmung ab. Dasselbe gilt für die Friedhöfe Altenhagen und Halden. Die Antragsteller sehen in einer kontinuierlichen Flächenverkleinerung und Konzentration auf Kernflächen der einzelnen Friedhöfe die schonendere Maßnahme. Werden umgewandelte Flächen dauerhaft nicht mehr genutzt, ist eine Teilentwidmung dieser Randzonen möglich.

Das bedeutet, …

• … dass Nutzungsrechte weiterhin unverändert und uneingeschränkt verlängert werden können.
• … dass Bestattungen bzw. Beisetzungen in Grabstätten, für die bereits ein Nutzungsrecht besteht, weiterhin durchgeführt werden.
• … dass in peripheren Flächen bei der Verlängerung bestehender Nutzungsrechte lokale Umbettungsangebote unterbreitet werden können, deren Annahme freiwillig bleibt.
• … dass in peripheren Flächen keine neuen Nutzungsrechte vergeben werden, für die zum Zeitpunkt des Ratsbeschlusses am 27.06.2024 kein Nutzungsrecht vergeben war.

3. Die Verwaltung wird beauftragt, den WBH um Darstellung zu bitten, welche der im Gutachten erwähnten Restrukturierungsschritte beim Wirtschaftsbetrieb bereits greifen oder noch umzusetzen sind. Aus diesen Daten soll valide abgeleitet werden, welche Einsparungen über diese Optimierungen realistisch zu erreichen sind.

4. Die Verwaltung wird beauftragt, vom WBH Perspektiven zu einer kontinuierlichen Verkleinerung der jeweiligen intensiv bewirtschafteten Friedhofsflächen für den Rat zu erbitten. Ziel ist die Reduktion der Friedhofsfläche in der Größenordnung von 12,5 Hektar (20 Prozent der städt. Friedhofsfläche). Die Flächenrückentwicklung auf den Hagener Friedhöfen soll organisch erfolgen (von den Randzonen bis zur verbleibenden Kernzone). Randzonen werden naturnah umgewandelt, neue Nutzungsrechte darauf nicht mehr vergeben. Dauerhaft nicht mehr genutzte Flächen können teilentwidmet werden.

5. Die Verwaltung wird beauftragt, den WBH um Prüfung zu bitten, ob die bislang ungenutzte und unbelegte Fläche des Friedhofs Halden kurzfristig entwidmet werden kann.

6. Die Verwaltung wird beauftragt, den WBH um Prüfung zu bitten, ob auf dem Friedhof Delstern eine Beerdigungswald-Teilfläche eingerichtet werden kann.

7. Die Infrastrukturelemente auf den Friedhöfen Berchum, Garenfeld und Holthausen sind auf das Erforderliche zu reduzieren, sofern nicht private Dritte die dauerhafte Unterhaltung von Gebäuden verbindlich übernehmen.

8. Die Übernahme einer Friedhofsträgerschaft für private Dritte wird abgelehnt.

9. Die Verwaltung wird beauftragt, den WBH um Prüfung zu bitten, ob sich die Gebührensatzung erweitern oder verändern lässt.

Zu prüfen ist insbesondere, ob das Gebührenrecht die Einrichtung einer neuen Bestattungskategorie mit der Bezeichnung „Erdbestattungen auf historisch lokalem Friedhof mit besonderen Auflagen zur Grabsteingestaltung“ ermöglicht. Diese Bestattungskategorie soll Anwendung auf passende Friedhöfe finden.

10. Die Verwaltung wird beauftragt, den WBH um Prüfung zu bitten, ob in Randzonen bei künftig geplanten Zubettungen oder Nutzungsrechtverlängerungen lokale freiwillige Umbettungsangebote möglich wären, um früher zusammenhängende Flächen aus der intensiven Bewirtschaftung herausnehmen zu können.

11. Die Verwaltung wird beauftragt, den WBH um Prüfung zu bitten, …

a. …ob Mittel aus „Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen“ gemäß § 15 (2) Bundesnaturschutzgesetz bzw. aus der von der unteren Naturschutzbehörde zu führende Ersatzgeldliste gemäß § 34 (2) Landesnaturschutzgesetz NRW für die ökologische Aufwertung peripherer Friedhofsflächen (Randzonen) eingesetzt werden können.

b. … ob und welche weiteren Fördermittel aus EU, Bund und Land in der Zielsetzung geeignet wären, um die ökologische Aufwertung peripherer Friedhofsflächen zu kofinanzieren.

c. … ob aus Mitteln des Denkmalschutzes Fördermittel zum Erhalt historisch oder künstlerisch besonders wertvoller Grabanlagen einzuwerben sind.

12. Die Ergebnisse der Prüfungen, Vorschläge und Darstellungen sind dem Rat zu übermitteln.

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